»Musik zusammen zu erleben – dafür müssen wir kämpfen!«

Das Abokonzert 2 mit dem Titel »Originale« stellt zwei Persönlichkeiten aus der Mitte des Orchesters vor: Die Konzertmeisterin Natalie Chee, die das Orchester vom ersten Pult aus leitet, und den Soloklarinettisten Blaž Šparovec. Ein Gespräch über Träume und Albträume, und wofür es sich zu kämpfen lohnt.

Das Konzert trägt den Titel »Originale«. Wie spiegelt sich das für Euch im Programm wider?

Natalie Chee Sowohl die Rumänischen Volkstänze von Bartók als auch Aus Holbergs Zeit von Grieg beziehen sich auf andere Musik. Bartók unternahm  Reisen durch Rumänien, dort hörte er originale Volksmusik und transkribierte sie dann für Orchester. Es geht also um authentische Musik, die er benutzte und aus der das Werk besteht. Und Grieg bezieht sich in seiner Suite auf Originale, nämlich auf historische musikalische Stilvorlagen. Allerdings hat er die Musik nicht einfach übernommen, sondern sie selbst - eben in einem historischen Stil - komponiert. Und dadurch ist sie ein Original!

Blaž Šparovec Ob das Mozart-Konzert so original ist, das wissen wir bis heute nicht. Alles, was wir davon an Notenmaterial aus Mozarts Hand haben, ist eine Skizze zu einem Konzert für Bassetthorn in G-Dur. Sie heißt »Winterthurer Manuskript«. Diese Skizze reicht ungefähr bis zur Mitte der Exposition, dann bricht sie ab. Dann kommt ein Strich, und man sieht, dass Mozart danach die Tonart in A-Dur geändert hat. Vielleicht hat ihm der Widmungsträger des Konzerts, der Klarinettist Anton Stadler, ein neues Instrument gezeigt hat, das in A-Dur gestimmt war. Jedenfalls vermutet man, dass Mozart das fertige Manuskript Anton Stadler ausgehändigt hat, der damit wahrscheinlich direkt zur Uraufführung nach Prag fuhr und danach auf Tournee an die Ostsee ging. Während er nach der Uraufführung in Deutschland unterwegs war, so berichtete Stadler es Mozarts Frau Konstanze, wurde ihm sein Klarinettenkoffer samt Notenmaterial geklaut. Ob man ihm das glauben kann, ist so eine Sache. Tatsache ist aber: Wir haben kein Original-Manuskript. Ungefähr zehn Jahre nach Mozarts Tod erschien beim Verlag Breitkopf eine Ausgabe von Mozarts Klarinettenkonzert: in A-Dur, und für eine normale Klarinette, nicht für ein Bassetthorn. Man weiß nicht, was dieser Herausgeber für Quellen vor sich hatte. Auch zwei andere Verlage brachten kurze Zeit später Noten des Konzerts auf den Markt, und auch da ist nicht gewiss, auf welcher Vorlage sie basieren. Deswegen glaubte man auch lange Zeit, dies sei das »richtige« Konzert – und wusste nicht, dass es ursprünglich für Bassettklarinette geschrieben ist. Erst über eine Bearbeitung des Stücks aus dem 19. Jahrhundert für Klavierquintett kam man auf die richtige Spur. Denn man erkannte, dass die Melodiestimme häufig tiefer geht, als das damals auf der Klarinette üblich war. Auf dieser Klavierquintett-Version beruht die Fassung für Bassettklarinette. Natürlich weiß man, dass das Konzert von Mozart ist, denn es ist dokumentiert, dass Stadler mit diesem Konzert aufgetreten ist. Nur das Manuskript hat man eben nicht ...

Nicht nur Kammerorchester, auch Sinfonieorchester können ohne Dirigent spielen!

Natalie Chee

Natalie erwähnte gerade die Volksmusik, die Bartók gesammelt hat. Wie ist Eure ganz persönliche Beziehung zu Volksmusik? Fast jedes Volk hat ja seine eigenen, urtümlichen, originalen Klänge ...

Blaž Šparovec Ich komme aus Slowenien, und die Volksmusik meines Landes ist nicht so weit von Mozart entfernt. Ich stamme aus einer Ecke im Nordwesten des Landes, der Region Krain, die der Habsburger-Monarchie angehörte. Die Volksmusik aus dieser Zeit ist geblieben, sie ist sehr nah an der österreichischen.

Natalie Chee Mein Vater ist Chinese, meine Mutter Australierin, ich bin in Australien aufgewachsen, deswegen hatte ich zunächst mit Volksmusik wenig Kontakt. Aber ich bin davon überzeugt, dass Volksmusik eine sehr enge Verbindung mit der Sprache eines Landes hat. Als ich 18 war, kam ich in die Schweiz, danach lebte ich sehr lange in Oberösterreich auf dem Land in einem kleinen Dorf. Dort kam ich auf diese Volks- und Tanzfeste, die man dort »Kiritag« nennt, das gab’s einmal im Winter und einmal im Sommer. Dort wurde Volksmusik gemacht, gefiedelt, gejodelt und getanzt. Als ich dann in der Camerata Salzburg spielte, habe ich mit einem Bassisten, der intensiv in der Volksmusikszene unterwegs war, auch selbst musiziert und dadurch diese österreichische Volksmusik sehr direkt erlebt. Ich glaube, wenn man musikalisch ist und ein Gefühl für Sprache und Rhythmus hat, dann kommt man ganz schnell in die Volksmusik hinein. Dass man in ihr die Sprache eines Landes hört, das sieht man ja bei Bartók. In seiner Musik hinterlässt das Ungarische mit den Betonungen auf der ersten Silbe sehr deutliche Spuren.

Wie entstand die Idee zu diesem gemeinsamen Konzertprojekt?

Natalie Chee Als ich vor einem Jahr zum Gürzenich-Orchester kam, fragte mich François- Xavier Roth, ob ich einen Traum hätte, was ich in Köln gerne machen wollte. Und ich sagte, ich würde gerne ein Konzert als Konzertmeisterin spielen und es zugleich leiten. Das habe ich früher, als ich Konzertmeisterin der Camerata Salzburg war, sehr oft gemacht. Und ich bin der Meinung, dass nicht nur Kammerorchester, sondern auch Sinfonieorchester ohne Dirigent spielen können. Ohne Dirigent sind die Musiker gezwungen, mehr aufeinander zu hören und unmittelbar zu reagieren. Das stärkt ein Ensemble ungemein. Wir haben gesagt, ja, das probieren wir aus. Patrick Hahn [Künstlerischer Programmplaner des Gürzenich-Orchesters] hatte dann die Idee, auch den Solisten aus dem Orchester zu besetzen, und da lag es sehr nahe, dass Blaž das Mozart-Konzert spielt. Er ist ein Traum!

Blaž Šparovec Ja, genau, ein Alptraum! [lacht]

Natalie, wie funktioniert das, wenn Du das Konzert von Deinem Pult aus leitest und dabei auch als Konzertmeisterin spielst?

Natalie Chee Ich habe  eine Doppelfunktion. Zum einen muss ich das Programm einstudieren und wie ein Dirigent die Proben leiten. Ich brauche eine Idee, ein Konzept, und beides muss ich auch vermitteln können. Gleichzeitig spiele ich aber auch selbst, das bedeutet, dass ich nicht die Hände frei habe, um gestisch zu zeigen, was ich möchte. Ich muss das mit der Geige machen. Aber genau das war es, wie die Kapellmeister ursprünglich, also in früheren Zeiten, gearbeitet haben. Vor Mozart und auch noch zu Mozarts Zeit gab es keine Dirigenten, wie wir sie heute kennen. Alles wurde vom ersten Geigenpult oder vom Cembalo aus gesteuert. Das ist also eine sehr ursprüngliche Art, Musik zu machen. Wieder ein Original!

Könntest Du Dir vorstellen, irgendwann Dirigentin zu sein?

Natalie Chee Nein, absolut nicht! Ich mache das sehr gerne von der Geige aus, das kann ich, aber wie ein Dirigent ohne Instrument da vorne stehen, das ist eindeutig nichts für mich. Es ist mir ein großes Bedürfnis, den Klang selber zu produzieren.

Das Klarinettenkonzert ist nicht nur wahrscheinlich das beste Stück für Klarinette überhaupt, es ist auch eines der besten Stücke von Mozart.

Blaž Šparovec

Blaž, was ist für Dich das Besondere an Mozarts Klarinettenkonzert? Es gilt ja gewissermaßen als Kronjuwel unter den Konzerten für Dein Instrument.

Blaž Šparovec Es ist nicht nur wahrscheinlich das beste Stück für Klarinette, es ist auch eines der besten Stücke von Mozart. Wenn man es mit anderen seiner Instrumentalkonzerte vergleicht, dann ist es wirklich sehr speziell. Man könnte jetzt natürlich sagen, er war reif, als er das mit seinen 35 Jahren komponiert hat. Aber er hat die Klarinette als Instrument eben auch geliebt. Und er mochte sehr, wie sein Freund Anton Stadler spielte. Für Mozart kam die Klarinette der menschlichen Stimme am nächsten. Er wusste extrem gut, wie man für Klarinette schreibt – und auch für das Orchester, damit die Klarinette richtig glänzen kann. Dafür hatte er ein außergewöhnliches Gespür. Dabei benutzt Mozart eine so verständliche Klangsprache, die perfekt zum Charakter des Instruments passt. Das tritt noch deutlicher zutage, wenn man das Stück auf einer Bassettklarinette spielt. Eigentlich ist das Ganze wie eine kleine Oper für Klarinette und Orchester. Mozart lässt darin so viele Farben und Charaktere lebendig werden, das kann man auf einer Bassettklarinette noch klarer umsetzen: In der hohen Lage klingt sie süß und zart wie eine normale Klarinette, aber in der Tiefe hat sie mehr Wärme, mehr Kraft, mehr Grund. Das mittlere Register wirkt etwas nasaler. Das alles implementiert Mozart perfekt in dieses Konzert mit seinen verschiedenen Dialogen zwischen den Stimmen, mit subtilen Zwischenstimmen, es ist also wirklich wie eine Mini-Oper! Es gibt keine vergleichbaren Stücke. Natürlich haben wir tolle andere Klarinettenkonzerte. Aber sowas eben nicht mehr. Meine persönliche Meinung ist: Es gibt immer einen Grund dafür, warum ein Stück so viel gespielt und nachgefragt wird, andere dafür weniger, das passiert nicht umsonst. Das Mozart-Klarinettenkonzert wird niemals alt. Ich habe es nun schon oft gespielt, und es ist jedes Mal ein Genuss.

Du spielst das Konzert auf einer modernen Klarinette ...

Blaž Šparovec Auf einer modernen Bassettklarinette. Ich spiele keine historischen Klarinetten, denn das sind im Grunde genommen ganz andere Instrumente als die modernen, die wir heute haben. Die Klarinette zu Mozarts Zeit hatte viel weniger Klappen, die ganze Art, wie man spielte, war anders. Interessant ist, dass von einer Aufführung des Konzerts durch Anton Stadler in Riga noch ein Programmheft existiert. Darin ist eine Skizze seines Instruments: Es war oben und unten geknickt, der Schalltrichter hatte eine runde Form – und man sieht auch, dass Stadler offenbar das Mundstück umgekehrt aufgesetzt hat, also mit dem Rohrblatt nach oben. Das war damals ganz üblich! Was Stadler anbelangt, so ist man sich nicht sicher, ob er wirklich noch so gespielt hat oder ob die Skizze einfach nicht stimmt.

Gibt es für Dich als »modernen« Klarinettisten spieltechnische Besonderheiten, die bei diesem Konzert wichtig sind?

Zum einen ist es ratsam, sich etwas über das Stück zu informieren, zu recherchieren. Auch wenn man – wie ich zum Beispiel – es nie auf einer historischen Klarinette spielt, sollte man doch wissen, wie das klingt. Denn ich finde, man sollte Eigenheiten eines historischen Instruments durchaus auf einem neuzeitlichen imitieren. Manche Töne klingen auf einer Klarinette aus dem späten 18. Jahrhundert sehr offen. Das sollte man auch auf einer modernen Klarinette ähnlich umsetzen. Würde man es nur einfach so spielen, ginge viel davon verloren, was Mozart sich wahrscheinlich dabei gedacht hat. Er hat ja niemals ohne Grund etwas so geschrieben, wie es ist. Außerdem gibt es gewisse Griffverbindungen, die eigentlich zu Mozarts Zeit tabu waren, weil man sie nicht realisieren konnte. Im Mozart-Konzert kommen sie aber vor! Daraus können wir schließen, dass Stadler ein Instrument hatte, das technisch so fortgeschritten entwickelt war, dass das ging.

Das Werk hat emotionale, intime Inhalte, die uns alle, die wir zuhören, ansprechen. Besteht für den Interpreten hier die Gefahr, sich in den Tiefen der eigenen Emotionen zu verlieren?

Es ist immer ein Unterschied, ob man Musik zuhört oder ob man sie interpretiert. Wenn man spielt, dann kann man sich nicht vollständig dem Genuss hingeben. Man muss immer einen Schritt vorausdenken, sonst verliert man den Faden. Aber natürlich gibt es Momente, in denen man sich sicher fühlt und sich auch entspannen kann. Oft ist es so: Etwas sehr Einfaches muss man sehr aufwendig spielen, damit die Einfachheit überzeugend wirkt. Ansonsten klingt es nur schlecht. Zum Beispiel der Beginn des zweiten Satzes. Für den Zuhörer ist das sehr schön, und das ist es auch. Aber wenn man das gut gestalten möchte und wenn es einen ganz schlichten Charakter haben soll, dann ist das harte Arbeit. Aporopos Volksmusik: Eigentlich ist das Volksmusik! Aber mit einer fast romantischen Note.

Gibt es Konzerte, die Ihr gespielt habt und die Euch in besonderer Weise in Erinnerung sind?

Natalie Chee Bevor das damalige Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, in dem ich vorher als Konzertmeisterin engagiert war, mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg zusammengelegt wurde, spielten wir als allerletztes Konzert ausgerechnet bei den BBC Proms in der Royal Albert Hall in London. Unser Ehrendirigent Sir Roger Norrington stand am Pult. Das ist ja ein riesiger Saal, und das Konzert wurde live in die ganze Welt übertragen. Nach dem letzten Stück hielt ich eine Rede, in der ich erklärte, dass dies nun das letzte Konzert von uns als Radio-Sinfonieorchester Stuttgart war. Das Publikum wusste das nicht und reagierte enorm betroffen. Danach spielten wir »Nimrod« aus den Enigma-Variationen von Edward Elgar. Das werde ich nie vergessen. Als wir fertig waren, standen alle Leute im Saal auf und applaudierten, und als wir von der Bühne gingen, gab Sir Roger Norrington jedem Musiker am Ausgang die Hand. Das dauerte eine gefühlte Ewigkeit, und während dieser ganzen Zeit stand das Publikum da und klatschte. Das war so unglaublich berührend.

Blaž Šparovec Also, ich werde es nie vergessen, als ich in der 2. Runde beim ARD- Wettbewerb Nasenbluten bekam, das sich nicht mehr stoppen ließ ... es gab da nur zwei Möglichkeiten: Aufhören oder weitermachen. Ich habe weitergespielt. Und noch eine Erinnerung habe ich, aber im negativsten Sinne, das war eine Erfahrung, die mich sehr geprägt hat: Ich war ungefähr zehn Jahre alt, und ich sollte in einem ganz kleinen Konzert als Generalprobe für einen nationalen Wettbewerb spielen. In Slowenien war es so, dass man alles auswendig spielen musste. Ich ging also auf die Bühne – und plötzlich war es einfach nur leer in meinem Kopf. Ich wusste wirklich nicht einmal mehr die erste Note des Stücks, nichts, das totale Blackout. Auch als ich dann irgendetwas versuchte, kam nichts. Ab diesem Moment habe ich mich sehr verändert, was die Vorbereitung auf Konzerte anbelangt. Ich habe ein Bewusstsein dafür entwickelt, zu welchem Punkt ich mit einem Stück kommen muss, damit ich mich wirklich sicher fühle.

Ich glaube, jeder Künstler muss ganz oft versagen, um weiterzukommen.

Natalie Chee

Also eine Art von »konstruktivem Versagen«, das Dich weitergebracht hat ...

Blaž Šparovec Ja, genau, das ist es.

Natalie Chee Ich glaube, jeder Künstler muss ganz oft versagen, um weiterzukommen.

Natalie, Du wirkst auf der Bühne stets in Dir ruhend. Kennst Du überhaupt so etwas wie Lampenfieber?

Natalie Chee Aber natürlich!! Als Jugendliche und im Studium habe ich sehr darunter gelitten. Deswegen habe ich auch keine großen Wettbewerbe gemacht, das ist einfach nicht meine Welt. Ich funktioniere nicht gut unter solchen Umständen. Zwar spiele ich gerne solo, aber das ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Was ich mag, das ist das Zusammenspiel mit anderen, in einem Team. Das erfüllt mich mehr, als alleine zu spielen. Oft hat die Ausstrahlung, die man auf der Bühne auf das Publikum hat, nichts damit zu tun, wie der Musiker sich innerlich fühlt. Es ist aber in meinem Verständnis Teil meiner Aufgabe im Orchester, als Konzertmeisterin der Gruppe ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Aufgeregtheit ist übrigens keine schlechte Sache! Eigentlich wird da die Leistung noch besser. Die Konzentration und der Wille, in genau diesem Augenblick etwas Besonderes zu machen, steigen. Aber das Publikum sollte nicht unbedingt mitkriegen, wenn man aufgeregt ist!

Blaž Šparovec Bei mir würde ich sagen, das mit den Nerven funktioniert mit der Zeit immer besser. Mit jeder positiven Erfahrung bin ich stärker und selbstbewusster geworden.

Habt Ihr Traumstücke, die Ihr unbedingt noch irgendwann spielen wollt?

Blaž Šparovec Vielleicht das Klarinettenkonzert von Brahms?! [lacht] Aber Spaß beiseite: Die großen Sachen, die ich wirklich mag, habe ich alle schon gespielt. Die Konzerte von Mozart, von Nielsen, von Copland ... für mich sind es eher Stücke im Orchester, die mir noch fehlen. Zum Beispiel der Rosenkavalier. Überhaupt Oper: Durch diese Langzeit-Baustelle in Köln konnte ich hier bislang einfach nicht wirklich viel Erfahrung sammeln. Gerade Strauss, da habe ich bisher nur Salome gespielt. So ein Beispiel gibt es bei mir auch im Konzertbereich: Da habe ich von Mahler nur die 3. Sinfonie gespielt, aber ich würde sie natürlich alle gerne mal machen.

Natalie Chee Auch ich habe bisher wenig Oper gespielt. Aber was mich gerade mit dem Gürzenich-Orchester und mit François-Xavier Roth unglaublich reizen würde, das wäre Der Bürger als Edelmann von Richard Strauss. Gerade François-Xavier Roth würde dieses Stück mit unglaublich viel Witz und Charme machen. Was ich ebenfalls sehr liebe und unbedingt nochmal aufführen möchte, ist das Lied von der Erde von Mahler. Das wäre auch so ein Traum von mir ...

Wer sich auf Musik einlässt, kann dabei sehr viel empfinden.

Blaž Šparovec

Welche Bedeutung hat Eurer Einschätzung nach Musik in unserer Zeit?

Blaž Šparovec Die Rolle der Musik, der Kunst ganz allgemein hat sich im Laufe der Geschichte sehr stark verändert. Im Vergleich dazu, was Musik vor 200 Jahren war, bildet sie heute eine kleine Nische. Denn es ist eben so, dass gerade Musik inzwischen noch mehr »Kunst« geworden ist, als sie es beispielsweise zu Mozarts Zeit gewesen ist. Damals diente Musik vor allem der Unterhaltung, man hat auch nicht immer den Wert von Einzelleistungen, von Kompositionen erkannt. Auch heute ist Musik meiner Meinung nach eines der wichtigsten Güter der Gesellschaft. Oper zum Beispiel ist doch die Kunst schlechthin, die alle anderen Künste zusammenbringt: Musik, Schauspiel, Bildende Kunst, Tanz. Davon abgesehen: Wenn man zum Beispiel über frühere Zivilisationen spricht, dann interessiert man sich für ihre Kultur. Heutzutage denkt man leider oft nicht daran, dass das so wichtig ist. Aber Kultur ist das, was eine Gruppe von Menschen überhaupt zu einer Zivilisation macht. Denken wir doch an die alten Griechen, an die Ägypter ... wir sprechen über ihre Kultur, das ist es, was interessant ist. Genau das müsste man viel stärker in der Ausbildung berücksichtigen, ich finde, leider wird das etwas vernachlässigt. Nicht überall natürlich. Aber generell ist es einfach sehr wichtig, schon den Kindern beizubringen, wie toll das ist, in ein Konzert zu gehen und eine Sinfonie zu hören. Auch wenn man vielleicht vieles noch nicht versteht, so entwickelt man doch beim Zuhören Gefühle. Wer sich auf Musik einlässt, kann dabei sehr viel empfinden.

Natalie Chee Kunst und Kultur, das ist das, was uns zu Menschen macht – und was uns von anderen Arten auf diesem Planeten abhebt! Auch Sprache ist eine Kultur. Aber ich glaube, wir Musiker dürfen niemals vergessen, wie privilegiert wir sind, dass wir uns genau mit dieser Kunstform beschäftigen dürfen. Das ist so unglaublich bereichernd, denn wir setzen uns die ganze Zeit mit Emotionen, mit Ausdruck auseinander. Das ist in anderen Berufen meistens nicht so. Unser Publikum kommt ins Konzert, um genau diese Emotionen zu erleben, sich zu spüren. Man bekommt eine Palette an Farben, an Emotionen geboten – und darf sich als Mensch in seiner Ganzheit und mit allen individuellen Facetten erleben. Das ist unser Geschenk als Musiker an die Gesellschaft. Und wir dürfen es nicht verlieren, Musik zusammen zu erleben – gerade in der momentan schwierigen Zeit. Dafür müssen wir kämpfen.

Blaž Šparovec Kunst war immer eine verbindende Kraft zwischen Menschen. Schon zu einer Zeit, als von großen Zivilisationen noch gar keine Rede sein konnte: Es gab kleine Gruppen, die getanzt oder Musik gemacht haben, das war stets ein selbstverständlicher Teil der Kultur. Und auch wenn man nur ein paar Generationen zurückblickt: Gerade das Singen der Eltern für die Kinder, mit den Kindern zusammen war so wichtig. In vielen Ländern ist das heute verschwunden. Dabei ist das etwas so Archaisches, man hat das 1.000 Jahre lang gemacht, und es bringt so viel: für die Entwicklung eines Kindes, für die Sprache, für die Reifung als Mensch.

Das Gespräch führte Volker Sellmann

 

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