Ludwig van Beethovens Musik öffnet uns eine neue Perspektive darauf, wie wir als Menschen leben könnten, schreibt der Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth in seinem Brief an den Komponisten. Denn Beethovens Musik sei keine abstrakte Kunst, sondern sehr menschlich. Und wenn er sie nicht gerade nicht dirigieren kann wie in der aktuellen Situation - François-Xavier Roth fällt immer etas dazu ein. Mit Hilfe von Laptop, Flügel, Body-Clapping und Querflöte reist er in unserer Video-Reihe zu den Sinfonien durch den musikalischen Kosmos dieses faszinierenden Komponisten.
5. Sinfonie
6. Sinfonie
4. Sinfonie
1. Sinfonie
3. Sinfonie
2. Sinfoniie
Ein Brief an Beethoven
Lieber Ludwig,
Wir sagen „Du“, einverstanden? Denn Du bist, seit ich denken kann, ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich habe Deine Musik zuerst als Kind erlebt. Leider hast Du, lieber Ludwig, nicht so viel für Blasinstrumente alleine geschrieben. Das bedauere ich als ehemaliger Flötist sehr. Die Streicher haben da mehr Glück gehabt als die Bläser, jedenfalls was die Kammermusik betrifft. Aber o.k., Du hast für Orchester so unglaublich komponiert, dass ich Dir verzeihe.
Später dann habe ich Deine Musik als Dirigent lieben gelernt. Und ich würde gerne von Dir wissen: Wie hast Du es geschafft, dass wir Deine Musik brauchen wie das Wasser zum Leben? Dass wir Deine Sinfonien immer und immer wieder spielen möchten? Und dass wir verstehen möchten, was Du mit Deiner Musik damals sagen wolltest?
Sehr oft nach einer Probe mit Deiner Musik fühle ich mich total kaputt und fertig, weil ich tief im Inneren bewegt bin. Es ist kein Zufall, dass Du heute wieder als ein politischer Komponist verstanden wirst. In dem Sinn, dass uns Deine Musik etwas über unser Leben und unsere Emotionen heute erzählt.
Deine Musik ist wie eine philosophische Reise, bei der man glaubt zu wissen, wohin man geht oder was Du erzählst, doch plötzlich, und das passiert mir immer wieder, überraschst Du uns mit revolutionären Gedanken! Nicht nur mit den Tönen, sondern auf einer menschlichen Ebene. Wir glauben, dass wir sind, was wir sind, aber dank Dir lernen wir einen anderen Teil unserer Persönlichkeit kennen und erfahren eine neue Perspektive darauf, wie wir als Menschen leben könnten. Denn Deine Musik hat viel mit dem Leben zu tun! Deine Musik ist keine abstrakte Kunst, sondern sie ist sehr menschlich. Sie hat mit Blut, mit Atmen, mit Laufen, mit Freude, mit Traurigkeit, mit Melancholie und mit Nostalgie zu tun.
„Du warst ein sehr intelligenter Avantgardist“
Seit Jahren habe ich in meinen Konzertprogrammen, wie viele andere auch, lieber Ludwig, Deine Musik mit Kompositionen von heute kombiniert. Denn Du warst ein zeitgenössischer Komponist, ein sehr intelligenter Avantgardist. Man hört in Deinen frühen Kompositionen, dass Du der musikalische Sohn von Joseph Haydn oder Mozart bist. Aber sehr schnell erfährt man auch, dass Deine Musik etwas total anderes ist. Sie beginnt im gleichen „Kostüm“, aber danach wird deutlich, dass Du mit den Vokabeln Deiner Zeit etwas anderes zeigen oder etwas anderes erzählen möchtest. Und diese Modernität hat in meinen Programmen immer sehr gut mit anderen heutigen Komponisten funktioniert, die mit ihrer Musik ebenfalls eine Utopie skizzieren. Viele Brücken zu Deinen Werken finde ich in der Musik von Helmut Lachenmann, Philippe Manoury oder von Francesco Filidei.
Und in diesem Jahr 2020, dachte ich, treibe ich diese Programm-Philosophie auf die Spitze. Deswegen haben wir in Köln, du kennst diese kleine Stadt am Rhein neben Bonn, eine Akademie wie zu Deiner Zeit. Mit Komponisten, die einen spannenden Kontrapunkt zu Deiner Musik bilden. Ich hoffe, Du hattest Freude daran, diese Konzerte mit uns zu teilen, wo auch immer du bist. Mir bedeuten diese Konzerte mit meinem Gürzenich-Orchester im Februar 2020 sehr viel. Denn ich finde, dass man die Größe Deiner Musik verpasst, wenn man sie nur neben anderen Komponisten aus der Klassik hört. Ich will Deine Musik feiern und das mit einem ambitionierten Kontrapunkt, um die musikalischen und menschlichen Revolutionen, die in jedem Deiner Stücke stecken, hochleben zu lassen!
Dein François-Xavier Roth